„Das Wichtigste und Einfachste ist ein Single Point of Truth“

Dr. Stefan Krämer über Prozessoptimierung von Anlagen und wie das Engineering unterstützen kann

Der Chemieingenieur Stefan Krämer ist Experte für die Verbesserung von Prozessführung und Ressourceneffizienz durch Digitalisierung. Er leitet bei Bayer die Gruppe Process Performance Improvement, die sich global um die optimale Fahrweise und Energieeffizienz von Produktionsprozessen per Simulation, Datenanalyse und Prozessregelung kümmert. In der NAMUR verantwortet er das Arbeitsfeld „Prozess- und Betriebsführungssysteme“ und unterrichtet außerdem „Batch Process Operation“ an der TU Dortmund. Stefan Krämer war an EU-Projekten zur Ressourceneffizienz beteiligt und ist Mitverfasser eines Fachbuchs zu dem Thema. Zurzeit vertritt er Bayer im Projekt KEEN – Künstliche Intelligenz in der Prozessindustrie. Wenn dem Vater zweier Kinder dann noch Freizeit bleibt, nutzt er sie gern zum Segelfliegen.

Herr Dr. Krämer, Sie haben in Theorie und Praxis mit zahlreichen Themen rund um die Optimierung der Prozessdynamik zu tun: Welche Informationen aus dem Anlagen-Engineering benötigen Sie dafür?

Um die Regelung und Anlagenfahrweise zu optimieren, benötigt man verschiedene Daten. Bei sehr einfachen Problemen reichen oft Prozessdaten. Doch schon bei einem schlichten Durchflussregler braucht man manchmal auch die Auslegungsdaten des Ventils vom Engineering, um sicher zu sein, im richtigen Ventilbereich zu arbeiten. Und es wird schnell komplexer. Spätestens, wenn es um neue Apparate oder komplexe Fragen geht, für die man ein dynamisches Modell braucht, benötigen wir Zugriff auf R&I-Fließbilder, Daten zu Abmessungen und Einbauten sowie die Thermodynamik der Stoffströme, um das Verhalten vorhersagen zu können. Und wir müssen wissen, wo die Messungen platziert sind. Wir brauchen also Daten vom PCT-Engineering, dem Anlagenbau und bei Bestandsanlagen auch das Wissen der Betriebsmannschaft.

In welcher Qualität erhalten Sie diese Daten üblicherweise und aus welchen Quellen?

Meist ist die Qualität zufriedenstellend. Spätestens nach Diskussion und Nachfrage bekommen wir die notwendigen Daten in guter Qualität, allerdings typischerweise analog als Zeichnungen, Datenblätter und Tabellen. Wir interpretieren sie und
validieren dann unsere Modelle durch Rückfragen oder den Vergleich mit Messdaten. Es kann sich um viele Quellen handeln, wie R&I-Fließbilder, Apparatezeichnungen, Pumpen- und Ventildatenblätter sowie Messdaten aus Prozessleitsystemen
und Plant Information Management Systems. Für viele Projekte brauchen wir zudem Livedaten aus dem Prozess. Auch die sind oft weit verteilt und wir müssen sie zusammenbringen.

Sehen Sie bei der Informationslage Verbesserungspotenzial?

Da gibt es verschiedene Ebenen. Interessant wird es, wenn die benötigten Daten digital im richtigen Format zur Verfügung stehen, man also z. B. aus den Fließbildern und Apparatedaten der Engineering-Dokumentation direkt eine Simulation erzeugen kann. Aber allein schon eine durchdachte und durchsuchbare Datenablage würde an vielen Stellen weiterhelfen. Doch vor allem das Abschaffen von Datensilos und die Nutzung von Metainformation wird uns voranbringen.

Was muss in den Engineeringtools, die in Ihrem Fachgebiet eingesetzt werden, passieren, um die Fahrweise der Anlagen effizienter optimieren zu können?

Das Wichtigste und Einfachste ist eine durchgängige Datenhaltung mit einem „Single Point of Truth“, sodass man sich auf die Informationen verlassen kann. Eine automatische Verbindung von Engineeringdaten mit Simulationstools und der Strukturierung der historischen Prozessdaten, die dann sehr schnell ein Abbild einer Anlage ermöglicht, ist bei uns in Arbeit. Auf der anderen Seite ist es nicht nur wichtig, dass die Tools etwas können, wir Menschen müssen die Kontrolle behalten, zum Beispiel mit klaren Vorgaben.

Wenn Sie sich von Engineeringsystem-Herstellern etwas wünschen dürften: Was wäre das?

Einen offenen Austausch zwischen verschiedenen Tools, der keine Mühen bedeutet.

In Anbetracht verstreuter und inkonsistenter Datenquellen: Wie denken Sie, könnte KI Prozessingenieuren und Automatisierern helfen?

Sobald eine KI in der Lage ist, die harten Zahlen und Fakten über die Anlage und ihre Struktur zusammenzubringen und einfache Fragen direkt zu beantworten, könnte ich meinen KI-Engineering-Assistenten fragen: „Welche Leitung geht von Tank A nach B? Und sag mir bitte noch den Durchmesser, was um 15 Uhr durchgeflossen ist und wie viel.“ Das wäre doch was – und wird die Arbeit wohl noch mehr erleichtern als die kombinierte Datenhaltung. Wenn ich mich dann voll darauf verlassen
kann, was die KI mir sagt, sind wir am Ziel!

Herzlichen Dank für das Gespräch, Dr. Krämer!
 

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